Warum wir am Bahnhof nicht einfach ein Taxi nehmen konnten, verstehe ich, als Abilio auf einen unbefestigten Weg einbiegt und es von da an nur noch steil bergauf geht. Wendig klettert der kleine Pickup den Hang hinauf. Heimlich kneife ich Herrn D. in die Schulter. Eigentlich ist er derjenige mit Höhenangst! Jetzt sitzt er vor mir und schaut Kurve um Kurve vergnügt in den Abgrund. Oben auf dem Weinberg angekommen fühlen wir uns winzig und genießen ehrfürchtig die wunderschöne Panorama-Aussicht ins Tal auf den rund 500 Meter unter uns liegenden Fluss, der sich tief ins Land einschneidet.
Wir sind in Portugal und mittendrin im Douro-Abenteuer. Die für ihre Portweine bekannte Weinbauregion beginnt etwa 80 Kilometer östlich von Porto und zieht sich bis zur spanischen Grenze. Im Jahr 2001 wurde das Gebiet zum Unesco-Weltkulturerbe ernannt. Nachdem die besten Trauben des Douro-Tals lange Zeit in die Portwein-Produktion gingen, gibt es seit einigen Jahren immer mehr fabelhafte Rotweine Region. Das dem Weinanbau neuen Schwung gegeben. Vermutlich wurden Rebstöcke hier aber schon vor der Römerzeit angebaut.
Morgens sind wir in Porto sehr früh in den Zug gestiegen. Die Fahrt in die Weinstadt Pinhão dauert knapp 2,5 Stunden. Etwa die Hälfte der Strecke fährt der Zug den Douro entlang und ab Régua wird’s richtig schön.
Unser Gastgeber ist Abilio Tavares da Silva, etwa Anfang Fünfzig, redet viel und unterstreicht seine Erzählungen gerne mit den Händen. In seinem früheren Leben war er IT-Unternehmer in Lissabon, irgendwie schon immer interessiert an Wein („Portugiese halt“, wie er lachend sagt), der dann Anfang 2000 vollständig sein Leben übernahm. Er verkaufte seine Firmen in der portugiesischen Hauptstadt und zog mit der Familie an den Douro. Nach langer Suche fand er schräg gegenüber von Pinhão 14 Hektar Weinbaufläche in bester Südwestlage. Etwa 80% der Fläche hat er erneuern und mit traditionellen Douro-Reben (z.B. Touriga Nacional, Touriga Francesa, Tinta Roriz, Tinto Cão, Tinta Barroca) bepflanzen lassen, auf 3 Hektar wachsen alte, knorrige Weinstöcke, die sogenannten „Vinhas Velhas“. Für den Ausbau der Foz Torto Weine ist Sandra Tavares da Silva (gleicher Nachname, keine Verwandschaft) verantwortlich, eine der Top-Önologinnen des Tals.
Getroffen haben wir Abilio vor zwei Jahren auf einer Weinmesse in Berlin. Sollten wir eines Tages ins Dourotal kommen, müssten wir uns unbedingt melden, hat er damals gesagt. Uns war damals besonders der Foz Torto Vinhas Velhas-Weißwein von 2012 aufgefallen. Die Trauben dafür stammen aus einem anderen kleinen Rebgarten in Porrais (Murça), nordöstlich vom Douro.
Eine Besonderheit des portugiesischen Weinbaus sind die unzähligen autochthonen (= ursprünglichen, einheimischen) Rebsorten. Die Douro-Weine werden durchweg noch in Becken, genannt Lagares, mit den Füßen gepresst und fast ausschließlich auf Basis von Cuvées ausgebaut. Auf Grund der Portwein Tradition gibt es mehr Rot- als Weißweine. Die Rotweine sind tiefdunkel und kraftvoll, aber gleichzeitig auch äußerst ausgewogen mit viel Würze, eleganter Frucht, Mineralität und floralen Anklängen.
Der Douro fließt durch ein Schiefermassiv, obendrauf ist es oft nur mit einer dünnen und kargen Erdschicht bedeckt. Schiefer ist ausgesprochen hart, aber spröde. In der Region spaltet er sich unter der Oberfläche vertikal auf, was das Eindringen und Speichern von Feuchtigkeit ermöglicht und den Wurzeln Platz für Wachstum bietet. Prägend für die Landschaft sind die sehr alten, beeindruckend steilen Weinterrasse,n auf die wir nun gemeinsam von oben herabschauen, während Abilio uns die verschiedenen Terassierungs- und modernen Anbauvarianten erklärt. Zwischendurch greift er immer wieder zum Mobiltelefon. Zum Mittagessen hat er einen Tisch reserviert. Erst gibt Abilio die Bestellung durch („natürlich, ein komplettes portugiesisches Mittagessen, ja!“). Danach ruft er erneut im Restaurant an, damit der Rotwein schon einmal geöffnet wird und atmen kann. Und zum Schluss geht es um die Terminierung des Hauptgerichtes. Uns erwarte der perfekte Reis, verspricht er lachend.
Überhaupt merkt man Abilio sofort an, dass es ihm großen Spaß macht, Gästen seine Wein-Wahlheimat mit ihrer Geschichte und Tradition näher zu bringen. Mit Foz Torto hat er noch einiges vor. Eine alte Weinerei im Zentrum von Pinhão ist bereits fast fertig saniert. Nach einem Rundgang durch die Weinterassen von Foz Torto zeigt er uns das alte, verfallene Bewirtschaftungshaus mitten im Weinberg. In ein paar Jahren sollen „Touristas“ hier den Weinanbau hautnah erleben und sich nebenbei perfekt erholen können. Neben einem Bad im (noch zu bauenden) Infinity Pool mit sagenhafter Aussicht soll dabei die sensorische Bildung der Gäste im Mittelpunkt stehen. Dafür hat Abilio rund 200 Obstbäume gepflanzt und einen üppigen Kräuter- und Gemüsegarten angelegt. Einen Erlebnis-Lernpfad für Erwachsene, scherzt er.
Die Sommer am Douro sind sehr heiß und trocken. Im Winter können die Temperaturen bis auf Minusgrade absinken. Die Bergketten schützen das Tal vor dem wechselhaften Atlantikwetter. Dieses Mikroklima sorgt für intensive, sehr aromatische Weine. Aber auch alles andere was hier wächst, schmeckt! Bei einem Spaziergang durch das Gelände können wir uns davon selbst überzeugen und probieren Erdbeeren, Kräuter, Rauke, Birnen, Pflaumen, bestaunen Tomaten, Feigen- und Mandelbäume. Beim Nachbarn wächst sogar wilder Kurkuma. Östlich an die Foz-Torto-Hänge schließt sich die Quinta das Carvalhas an, eins der ältesten und schönsten Weingüter der Region. Die Qunita ist im Besitz der Real Companhia Velha, der einst königlichen Weinkompanie. Im Vergleich zu denen sei er mit seinen 14 Hektar so etwas wie ein kleiner baltischer Staat, scherzt Abilio. Der Nachbar, der Logik nach folglich Russland, ist groß und mächtig. Aber keine Sorge, man komme äußerst gut miteinander aus!
Einen kleinen Eindruck von der Größe der Quinta bekommen wir bei der Überfahrt des prächtig bepflanzten Geländes, um das sich täglich mehrere Gärtner kümmern. Rasant geht es auf einer kurvenreichen Strecke zum Mittagessen. Die Zeit rennt, schließlich soll der Reis nicht verkochen!
Die Fahrt führt uns nach Ervedosa do Douro ins Restaurant Toca da Raposa. Zum Essen hat Abilio Verstärkung eingeladen. Kurz darauf sitzen wir am Tisch mit Rui Soares. Der Agraringenieur und Weinexperte arbeitet seit Ende der Neunziger für Real Companhia Velha, heute ist er als Director de Viticultura für die Ausrichtung der Weinproduktion verantwortlich.
Über das Restaurant sollten wir bloß nicht zu viele Worte verlieren, damit man hier in Zukunft auch noch entspannt essen kann, warnen beide mit einem Augenzwinkern. Serviert werden traditionelle Gerichte aus der Region, alte Rezepte neu interpretiert. Am Herd steht Doña Maria da Graça, ihre Tochter übersieht den Gastraum. Die Weinauswahl des Restaurants ist beachtlich. Wir sind natürlich für die Foz-Torto-Weine gekommen.
Vor den zur Begrüßung auf den Tisch gestellten Oliven warnen unsere portugiesischen Begleiter. „Die sind wie Chips, wenn du einmal damit angefangen hast…“ Und sie behalten Recht: Der Inhalt der Schale verschwindet sehr schnell wie auf magische Weise. Und auch alles andere wird gnadenlos von uns aufgegessen und ausgetrunken. Ganz hervorragend schmeckt der Polvo (Oktopus) und Arroz de Salpicão, ein Reiseintopf mit geräuchertem Schinken und Bohnen. Dafür gart der Reis langsam auf niedriger Temperatur in einem kräftigen Fond. Er ist tatsächlicch perfekt! Ob wir das alles bitte nach Berlin importieren können?
Unser Tagesausflug endet mit dem ersten schweren Gewitter seit zwei Jahren und einer mächtigen Überschwemmung im Zentrum von Pinhão. Barfuss und mit hochgekrempelten Hosen waten wir durch den historischen Bahnhof zum letzten Zug nach Porto, unsere Schuhe und eine kleine Kiste Wein im Arm. Wir sind mal wieder ein wenig überwältigt von der Schönheit Portugals und der Freundlichkeit der Portugiesen, die uns heute mit viel Herz und köstlichen Argumenten ihr Dourotal vorgestellt haben.